Welche Rolle spielt das Spiel bei Maria Montessori? Interview mit Margareta Harrer im Fachjournal 'Unsere Kinder' 4/2019
Maria Montessori sah die konstruktive Kraft des kindlichen Spiels als ein sehr bedeutsames Lern- und Entwicklungselement.
Sie beobachtet, "dass das Kind stets mit etwas spielt". Diese aktive und schöpferische Selbsttätigkeit im Spiel mache das Kind zum "eigenen Baumeister" seiner Entwicklung. Sie sagt z.B.: "Da sich das Kind sowohl physisch wie auch geistig entwickeln muss, folgt daraus, dass wir körperliche Übungen, Spiele usw. in die Erziehung einbeziehen müssen, denn wir können diese beiden Dinge nicht trennen, die die Natur vereint geschaffen hat." Oder, "Man könnte sagen, dass das Kind in all seinen Übungen spielt. Durch diese Spiele erlangt es die Fähigkeiten und Kräfte, die es zu seiner Bildung und Entwicklung benötigt!"
Im Spiel erlangt das Kind dadurch die eigene Kraft zur Selbstentwicklung, die Montessori als die "Arbeit des Kindes" bezeichnet.
Welche Bedeutung hat für Maria Montessori das kindliche Spiel? Oft ist ja zu hören, dass sie ganz die "Arbeit des Kindes" in den Blick nimmt.
Harrer: Montessori versteht unter "Spiel" im erweiterten Sinne kindliche Aktivitäten, die sich als selbstgesteuertes, intensives und selbstvergessenes Tun zeigen.
Sie setzt von Anfang an ihr Sinnesmaterial ein - testet auch die Spielgaben von Friedrich Fröbel, dessen Ansatz sie zu vielen Aspekten schätzt. Weil Maria Montessori aber Kindern viel mehr solche Gaben bieten möchte, entwickelt sie unzählige, bedeutsame Alltags-, Bewegungs-, Sinnesübungen bzw. Materialien.
Wiederholt äußert sie, wie sehr diese 'Spiele' die Kinder erfreuen oder faszinieren.
Sie sieht in der kindlichen Tätigkeit den Aufbau der eigenen Personalität, die nur durch selbst gemachte Erfahrungen erreichbar ist. In der schöpferischen Kraft des kindlichen Tuns erkennt sie "die große Arbeit, die jedes Kind vollbringen muss, um sich selbst zu entwickeln. (...) In all seinen Übungen spielt das Kind. Dadurch erlangt es die Fähigkeiten und Kräfte, die es zu seiner Bildung und Entwicklung benötigt!" Durch die aktive und schöpferische Selbsttätigkeit im Spiel wird das Kind also zum "Baumeister seiner Entwicklung".
Wie verhalten sich bei Maria Montessori Lernen, Arbeit und Spiel zueinander?
Harrer: Von Montessori werden diese drei Begriffe eng miteinander verwoben, teils synonym, also bedeutungsgleich verwendet: Das Spiel des Kindes ist die schöpferische Eigenleistung bzw. die konstruktive Arbeit seines Selbst, seine Erfahrungen sind sein Lernen. Manchmal wurde der Arbeitsbegriff sehr streng ausgelegt. Leider hat Montessori den Begriff "Spiel" in diesem Zusammenhang nie genau definiert, dann hätte sie sich vielleicht den Vorwurf erspart, in den Kinderhäusern werde das Spiel der Kinder nicht ausreichend berücksichtigt.
Gibt es Aussagen zum Wert bzw. zur Beschaffenheit des Spielmaterials? Welche Anforderungen stellt das Spiel der Kinder an PädagogInnen?
Harrer: Montessori bemerkte, dass drei- bis sechsjährige Kinder das von ihr erdachte Sinnesmaterial dem herkömmlichen Spielzeug vorgezogen haben. Kinder wählen von sich aus Dinge, die gemäß ihrer eigenen physischen wie psychischen Interessen und Bedürfnisse die Entwicklung vorantreiben. Dies könne, so Montessori, übliches Spielzeug oft nicht leisten, da es Kinder nur oberflächlich anspräche. Sie unterscheidet also klar zwischen konstruktivem Spiel und jenem Spiel, das nur kurzweilig anspricht (im Sinne von Spielerei oder Tändelei). Ihre "Spielgaben" nannte sie Entwicklungsmaterialien.
Aus Montessori-Sicht geben pädagogisch Tätige mit feinfühligem pädagogischem Takt dem selbständigen Spielen, Arbeiten und Lernen Vorrang. Sie wissen, dass ihr eigenes Handeln lenkende und freigebende Wirkung auf die Selbstbildungsprozesse des Kindes hat. Eine wertschätzende, herzliche und positiv ausgerichtete Haltung berücksichtigt stets die ganze Persönlichkeit der Kinder und stellt draußen wie drinnen Raum, Zeit sowie Mittel zur Verfügung. Erwachsene brauchen dazu ein breites Repertoire - von Techniken der achtsamen Begleitung bis hin zur absoluten Freigabe des Spielens und Lernens.
Wie würde Maria Montessori ihrer Meinung nach zu heutigen Spielformen, vor allem im digitalen Bereich, stehen?
Harrer: Digitale Medien und Spiele fördern die Vernetzung motorischer, emotionaler, sozialer und kognitiver Kindesentwicklung unzureichend. Ich denke, Montessori hätte dem eher entgegengesteuert - besonders das Kindergartenkind betreffend. Sie vertritt konsequent eine Pädagogik, die auf konkrete, real erlebbare, sozial-emotionale, sinnliche und beziehungsaufbauende Kind-Erfahrungen setzt. Diese Idee findet sich auch in neueren Ansätzen der Hirnforschung bzw. Entwicklungspsychologie. Dass Kinder mit sehr frühem Medienkonsum medienkompetenter wären oder bemerkenswerten Lerngewinn hätten, wurde bis heute nicht seriös bestätigt. Für das Schulkind ab etwa acht Jahren gehört das Lernen und Arbeiten mit digitalen Medien als Werkzeug dazu - hat also aus meiner Sicht eher dort seinen Platz als im Kindergarten.
Wie kann aus diesem Artikel zitiert werden?
Bitte geben sie folgende Quelle an:
Harrer, Margareta (2019): Welche Rolle spielt das Spiel bei Maria Montessori. In: Unsere Kinder 4/2019 (S.13).
Verfügbar unter: https://www.bel-montessori.at/blog/spielen